Überdurchschnittlich viele Fehler
Dass Kindern und Jugendlichen hin und wieder Rechtschreibfehler unterlaufen, ist normal. Besonders bei unbekannten Wörtern kommt dies vor und ist nachvollziehbar. Kinder mit LRS bzw. Legasthenie machen jedoch besonders viele Fehler, und zwar auch bei geläufigen Wörtern. Die Frage, wann die Lese- und Rechtschreibleistung eines Kindes noch "normal" ist, lässt sich meist nicht eindeutig beantworten, da der Übergang zwischen „normaler“ Rechtschreibentwicklung und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten fließend ist.
Legastheniker: Bedeutung und Ursachen
Lange Zeit hat man versucht, die Gruppe der LRS-Kinder und sog. Legastheniker durch bestimmte Kriterien von den übrigen Kindern abzugrenzen. Man dachte, spezielle Fehlerarten wie das Vertauschen von Buchstaben (p/q, b/d usw.) seien ein Hinweis auf das Vorhandensein einer LRS oder Legasthenie. Auch wurden Rechtschreibtests, die allerdings nur die Anzahl der falsch geschriebenen Wörter, nicht aber die Art der Fehler berücksichtigten, zum Erkennen einer LRS eingesetzt.
Heute weiß man, dass sich eine LRS durch eine Vielzahl von Phänomenen beschreiben lässt und der Übergang zwischen den einzelnen Ausprägungsgraden von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten fließend ist. Mit Hilfe von standardisierten und altersnormierten Rechtschreibtests wie schreib.on lässt sich ermitteln, in welchem Verhältnis zur Vergleichsgruppe die getesteten Kinder mit ihren Leistungen liegen.
Die ICD-10, die internationale Klassifikation der WHO für Krankheiten knüpft die Diagnose der Legasthenie außerdem daran, dass die Lese- und Rechtschreibleistung erkennbar schlechter ist, als es aufgrund der Intelligenz eines Kindes zu erwarten wäre. Wissenschaftler bezeichnen dies als IQ-Diskrepanzkriterium. Bei der Diagnose wird deshalb neben der Lese- und Rechtschreibleistung auch der Intelligenzquotient des betroffenen Kindes ermittelt. Legastheniker kann demnach nur sein, wer "zu intelligent" für seine schwachen Lese- und Rechtschreibleistungen ist.
Ob ein Kind, das schlecht liest und schreibt, Förderung benötigt, hängt allerdings nicht davon ab, wie seine Leistungen im Vergleich mit denen der Altersgenossen sind oder ob es den Stempel „lese-rechtschreibschwach“ oder „Legastheniker“ bekommt. Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass bei allen Kindern mit Problemen beim Lesen und Schreiben die gleichen Methoden wirksam sind, ob sie das IQ-Diskrepanzkriterium erfüllen oder nicht. Kinder mit einer LRS oder Legasthenie nach der Definition der WHO müssen deshalb die gleiche Förderung erhalten wie Kinder mit lediglich leicht eingeschränkten Fähigkeiten im Lesen und Schreiben. Denn aus welchem Grund sollte ein Kind, das Probleme beim Schriftspracherwerb hat, von einer Förderung ausgeschlossen werden, nur weil es bestimmte Kriterien nicht erfüllt?