Dr. Michaela Tamme – LOS Erfurt

Ehemalige Institutsleiterin des LOS Erfurt

Rückschau

Ganz wohl war mir nicht, als ich am 1. Oktober 1997 um 07:30 Uhr zum ersten Mal als Leiterin am Schreibtisch des damals neu eröffneten LOS in Erfurt saß. Ich hatte Bedenken, ob sich in der Stadt überhaupt genug junge Menschen zur Förderung anmelden würden. Nur wenige Minuten danach kam der erste Anruf und wenige Tage später war ich vom Gegenteil überzeugt. Tausenden Kindern konnten wir in den zurückliegenden 20 Jahren helfen. Jetzt heißt es für mich als Leiterin des LOS Erfurt, Abschied zu nehmen – Zeit für einen Blick zurück. 

Ich merkte damals schnell, dass auch Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche schlaue Köpfe sein können. In der Aus- und Weiterbildung durch den LOS-Verbund hatte ich gelernt, wie ich ihnen dabei helfen kann, ihr Potenzial auszuschöpfen. Ich weiß nicht, wie oft ich den Satz „Ich kann das einfach nicht!“ beim ersten Gespräch mit den Kindern gehört habe. Fast immer gelang es uns, die Resignation in Optimismus zu verwandeln. Die Schwierigkeiten der jungen Menschen lösen sich natürlich nicht in Luft auf. Aber sie machen durch die Förderung große Fortschritte und wissen, dass auch sie einen Weg aus dem Labyrinth der Rechtschreibung finden können. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und sie gewinnen die Freude am Lernen zurück. Ich habe viele Fälle erlebt, in denen das verhasste Fach Deutsch am Ende sogar zum Lieblingsfach wurde. Der größte Dank ist für uns Lehrer das Strahlen eines Kindes, wenn es merkt, dass es nun Dinge kann, die früher unüberwindbare Hindernisse dargestellt hätten. 

Wie ist so etwas zu schaffen? Nun, wir Lehrer im LOS sind ebenso wenig Hexen und Zauberer wie die Lehrer in der Schule. Aber wir haben ihnen gegenüber mehrere Vorteile – das spezielle Förderkonzept des LOS, die Unterrichtsmaterialien, die kleinen Lerngruppen, aber vor allem das, was in den Schulen am meisten fehlt: Zeit, die es den Kindern ermöglicht, ihre noch nicht vollständig vollzogenen Lernschritte nachzuholen. Die Kinder lernen bei uns nicht unter Druck. Und sie lernen in einer Atmosphäre, in der sie keine Ausnahme sind, sondern in der die anderen Schüler ähnliche Probleme haben wie sie selbst. Das habe ich in den 20 Jahren, die ich Leiterin des LOS bin, als große Entlastung für die Kinder und Jugendlichen wahrgenommen. Ich würde durchaus sagen, dass wir in den LOS ein kleines, perfektes Lernumfeld haben. 

 

Erfolge im LOS

Es ist schön zu sehen, dass der jahrelange Eindruck, den ich – wie viele Kollegen – habe, mich nicht getäuscht hat. Die LOS-Studie II hat gezeigt, dass die LOS-Methode tatsächlich so wirksam ist, wie wir Lehrer sie über Jahre wahrgenommen haben. Das ist eine Erkenntnis, die mich zum Ende meiner Zeit im LOS besonders freut. Jungen Menschen eine positive Lebensperspektive zu eröffnen, hat mich immer glücklich gemacht. Insofern schaue ich auch mit etwas Wehmut zurück.

Der Abschied fällt mir aber leichter, weil ich weiß, dass mein LOS Erfurt in gute Hände übergeben wird und die Arbeit für Menschen mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten unverändert weitergeht. Zum Schluss möchte ich meinen – teils langjährigen – Kollegen und allen anderen danken, die mit mir zusammengearbeitet und mich unterstützt haben. Ein herzlicher Dank geht auch an den LOS-Verbund, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand und nicht zuletzt meinen Schritt in die Selbstständigkeit zu einem vollen Erfolg gemacht hat.